Der 5-Uhr-morgens-ort

Es ist vorbei. Und ist doch nicht vorbei. Auf Wiedersehen Euphorie. Auf Wiedersehen Selbstwertgefühl. Auf Wiedersehen Tatkraft. Auf Wiedersehen. Hallo Angst, hallo Zerstreutheit, hallo Minderwertigkeitsgefühl. Es darf jetzt nicht kippen. Seit Mitte April geht es drunter und drüber. Ich nehme meine Medikamente, ich achte auf meinen Schlaf so gut es möglich ist. Von drei bis 4 Stunden bin ich zurück auf sieben bis acht. Der Rhythmus hat sich verschoben. Ich schlafe gegen 21 Uhr ein und wache gegen 5 Uhr auf. Ein Mittagsschlaf wie sonst ist derzeit nicht möglich – ich bin innerlich zu unruhig.  Zur Zeit bin ich damit zufrieden. Ich erlebe die Zeit zwischen 5 Uhr  und 10 Uhr am Morgen als produktivste Zeit des Tages. Ich habe mich an die jüngste Tochter von Thomas Mann erinnert. Bei ihr wird posthum anhand von Briefen und Schilderungen der älteren Geschwister ebenfalls eine bipolare Störung vermutet. Jetzt gerade fühlt es sich an als wäre sie meine heimliche Verbündete. Auch sie stand gegen 5 Uhr früh auf, um zu arbeiten und legte sich gegen Mittag noch einmal hin. Es ist eine ganz magische Tageszeit. Wenn alle noch schlafen und die Welt so ruhig ist – das fühlt sich wie ein Schutzpanzer an in, dem ich mich frei bewegen kann und doch beschützt bin.

 Ich habe das Gefühl, als hätte ich während der letzten Wochen eintausend Dinge angestoßen. Als wäre mir die Kontrolle über die Dinge verloren gegangen. So fühlt es sich gerade an. Dabei war ich viel weniger unkontrolliert als ich dachte. Ja ich habe zu viel Geld ausgegeben. Ich bin pleite. Und doch war nichts Sinnloses dabei. Hauptsächlich Bücher die ich zur Recherche benötige, aber aufgrund der inneren Unruhe noch nicht lesen konnte. Ich kann mich einfach nicht genug konzentrieren…

5 Uhr morgens. Das ist gerade mein Ort. Meine seelische Hängematte. Der Ort an dem mir niemand etwas anhaben kann. Auch nicht die Angst vor der Angst. Sie kommt. Ich kann sie jetzt schon spüren. Sie ist sehr hintergründig, aber vorhanden. Diese Zwischenphasen zwischen zwei Episoden sin immer schwierig. Weil man nicht weiß passiert. Werde ich in den nächsten Wochen wegen einer Depression das Bett kaum verlassen können? Wird es einigermaßen gehen und ich schleppe sie durch meinen Alltag? Kommt die Hypomanie zurück? Alles was ich tun kann ist, mich möglichst klug zu verhalten. Allein schon dieser Satz klingt für mich wie der pure Hohn. Ich habe es aufgegeben, mir Bedingungen für Episoden herbeizuphilosophieren. Substanzabstinend zu sein ist klar. Aber das gilt auch für nicht Betroffene. Bipolarität hat viel mit Aushalten zu tun. Es kommt wenn es kommt. Es bleibt solange es bleibt. Es wird versuchen, dich fertig zu machen. Alles, was du tun kannst ist, standzuhalten. Auszuhalten. Nach Möglichkeit nicht mitzumachen. Dich nicht verführen zu lassen, dich nicht zu weit nach unten ziehen zulassen.

Es ist immer das Selbe. Jedes mal. Mann kann nur einen Umgang damit finden. Jedes Mal auf’s Neue. Einen Umgang damit finden, keine Ratschläge umsetzen. Das ist das Einzige, das hilft.

So sitze ich hier. Eingekuschelt in meinen 5-Uhr-morgens-Ort. In neuer Bettwäsche. Ich rauche. Und schreibe. Und denke. Es ist kurz vor sieben. Draußen ist es mittlerweile hell. Der Kaffee ist kalt. Der Laptop auf meinen Beinen fühlt sich schwer an. Hoffentlich wird es bald nicht finster.

Erstmal ist jetzt.

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