bevor es passiert

Epilog

Manchmal entsteht ein Bild erst im Rückblick.
Nicht während der Atem stockt, das Herz rast oder die Gedanken sich verheddern.
Erst später, wenn der Körper wieder weiß, wie er sich anfühlt.

Diese Miniaturen folgen keinem roten Faden.
Sie folgen einer Bewegung: dem feinen Zittern zwischen Wahrnehmung und Überforderung,
zwischen Nähe und Fremdheit,
zwischen Lärm und Stille.
Es sind Momente, die man im Alltag übersieht –
zu klein, zu leise, zu schnell vorbei.
Doch gerade dort, in diesen unscheinbaren Rissen,
wird das Innere sichtbar.

Vielleicht liegt ihre Bedeutung nicht in dem, was geschieht,
sondern darin, wie es geschieht.
Wie der Körper reagiert.
Wie die Gedanken kurz aus dem Tritt geraten.
Wie sich das Leben in Kontakt mit sich selbst zeigt.

Am Ende bleibt keine große Erkenntnis.
Nur ein Atemzug.
Eine kleine Klarheit.
Eine Stille, die nicht bedrohlich ist,
sondern einfach nur da.

Bevor es passiert

Ich spüre ganz deutlich wie und an welchen Stellen mein Körper in die Matratze sinkt. Ein bisschen wie bei einer Mücke, die auf einer glatten Wasseroberfläche steht. Ich bin nicht müde. Mein Kopf ist schmerzfrei. Meine Augen auch.

Danach lagen wir da. Eingerollt wie zwei kleine Flusskrebse. Warm. Wir konnten uns ganz genau riechen. Unter meinen Achseln war noch ein bisschen Schweiß. Auch unter ihren. Meine Nase vergrub ich in ihren Haaren und ja: alles, was wir in der letzten Stunde taten, lag noch zwischen den Haaren wie eine kleine Spannung in der Luft. So nahbar waren wir uns schon lange nicht mehr gekommen.

Die Bürste streicht durch meine Haare. Ich kann hören, wenn das ein oder andere reißt. Es verursacht einen kleinen spannungsgeladenen Ton. Es fühlt sich angenehm an. Nach Erneuerung. Meine Hand bewegt sich automatisch. Ein kleiner Schmerz, der ganz von selbst passiert.

Als ich den Wasserhahn berühre, legt sich eine sanfte Kälte auf meiner Hand ab. Ich schiebe den Hebel und höre das Geräusch – es schneidet sich wie ein Messer durch den Raum. Das Wasser läuft über meine Finger, zu kalt, zu hart. Ich halte sie drunter, bis ich spüre, dass sie mir gehören.

Vor dem Spiegel spüre ich den Windhauch auf der Haut, der durch ein geöffnetes Fenster zu mir herüber weht. Mein Penis hängt schlaff zwischen dunklen, lockigen Haaren. Mein hervorgewölbter Bauch stört mich. Dennoch kann ich mit mir nackt das ein oder andere anfangen.

Die Biegung meines Körpers nach vorn fühlt sich wie ein Klappmesser an. Die Schnürsenkel rutschen durch meine Finger, als wären sie eingeseift. Glatt fühlt sich ihre Oberfläche an. Als ich fertig bin, sind meine Füße fest wie Klumpen

Die Schlüssel meines Schlüsselbunds fühlen sich kalt an in meiner Hosentasche. Der Widerstand beim Einführen des Schlüssels erinnert mich an das Zu-Viel-Wollen meiner Gedanken. Ich drehe. Es klickt. Alles fühlt sich organisch an an dieser Stelle.

Die Wärme war fast schon zu viel. Vor und hinter mir strahlte sie von denen ab, die dort standen. Atem hing sichtbar in der Luft. Es ging so langsam voran, dass man meinen könnte, die Zeit wäre stehen geblieben. Mein Gehirn im Halbschlaf, die Kasse noch weit entfernt.

Es war kaum etwas zu sehen, als ich nach draußen schaute, so sehr waren die Fenster beschlagen. Ich wischte mit dem Ärmel von rechts nach links. Was ich sah, verschwamm mit der Vibration, als der Bus wieder anfuhr.

Der Bahnwagen rumpelte vor sich und auf der Glätte und Kälte der Haltestange glitt meine geschlossene Hand immer wieder auf und ab. Ich kann den mikroskopisch kleinen Schmutz spühren. Wie er sich in meine Handfläche reibt. Der Mann gegenüber schaut mich an als würde er versuchen, mich nicht anzuschauen.

Das Stück Kartoffel auf der Gabel wiegt um die vier Gramm. Die Soße darauf vielleicht ein halbes. Es riecht nach Jägersoße. Die Farbe passt perfekt zur Farbe meines Glases. Ich zögere kurz, dann schiebe ich mir die Gabel in den Mund.

Mein Körper sitzt steif in einem Stuhl. Ich presse mich in seine Form. Fremde Körper links und rechts neben mir. Die Atemluft vor mir ist verbraucht von den anderen im Raum. Ich bin schon zu lange hier, um noch einen geordneten Gedanken zu fassen.

Nachts in meinem Bett liege ich oftmals auf dem Rücken und möchte hinhören. Doch ausgerechnet dann höre ich nichts. Kein vorbeifahrendes Auto, keine Straßenbahn, keine betrunkenen Jugendlichen. Nur eine einzige große Stille. Sie wird so laut, dass ich nicht mehr weiß, ob ich noch wach bin. Ich bin froh darüber, endlich etwas zu hören, dass man nicht hören kann.

Musik hilft immer. Aber nicht jetzt. Zu leise erscheinen die großen Gefühle. Zu zersplittert dringt der Text auf mein Bewusstsein. Mir ist nicht klar, was wir beide wollen. Der Effekt entzieht sich seiner Bedeutung und meiner Auffassung. Keine Ablenkung für mich an dieser Stelle. Nur das suchen von dem, was ich hier empfinden wollte.

Ich sitze auf der Bank. Die Menschen laufen vorbei wie Schießbudenfiguren. Wenn ich sie beobachte, werden sie flach, verlieren ihre Dimension. Die Bank fühlt sich instabil an.

Ballernde Musik. Körper, die schwitzen und sich bewegen. Überall ist Rhythmus, überall Bewegung. Fremde Menschen schieben sich an mir vorbei, meine Kehle ist voller Ekel. Aber das wollte ich doch, als ich hierher aufbrach. Ich habe das Gefühl, die Menschen könnten meine Stimmung fühlen, und fühle mich zu sehr gesehen. Beobachtet von jeder und jedem.

Aus der Entfernung kann ich all die Bakterien riechen, die sich auf ihr befinden. Ich ziehe den rechten Ärmel über meine Hand, um mich vor ihnen zu schützen. Ich muss wissen, wie es wäre, wenn sie sich über mich stülpen. Ich brauche Schutz. Und frische Luft.

Immer und immer wieder pocht der Satz in meinem Kopf. Ich kann ihn nicht mehr aus den Gedanken ausschließen. So wie sie ihn gesagt hat war er falsch. Ein kleiner Hass ummantelt meine Gedanken. Jetzt ist er da. Und kann nicht mehr gehen. Es macht mir Angst für den Rest des Tages. Irgendwie ist das nicht das, was ich erwartet hatte.

Meine Brustwarzen reiben an dem T-Shirt das ich trage. So heftig geht mein Atem. So wenig wie der Streit vorbei ist, ist es mein Gefühl. Die Wut, die Erregung, die Trauer. All das liegt noch auf dem Tisch. Die Atemlosigkeit glänzt auch in ihren Augen. Für den Moment gibt es nichts weiter zu sagen. Mein Atem liegt flach auf meiner Hand. Ihrer ebenso.

Die Zigarette fiel auf den Boden. Ich ging in die Hocke. Der Druck in meinen Knien fühlte sich unangenehm an. Meine Finger berührten den kalten Asphalt, bevor sie die Zigarette griffen. Als ich mich wieder erhob, hatte ich das Gefühl, meine Knie würden explodieren.

Der Stoff war nass und spannte sich zwischen meinen zu Fäusten geballten Händen. Ich zog und es passierte nichts. Zerreißen sollte der blöde Hund. Kleiner wollte ich ihn machen. Doch so sehr ich es versuchte: ich scheiterte. Also nahm ich den Stoff, biss herzhaft ein Stück hinaus und konnte genau an dieser Stelle reißen. Meine Zähne taten mir weh.

Ich wache mitten in der Nacht auf. Ich bin ganz außer Atem. Mein Gesicht ist nass. Was ist oben, was ist unten? Meine Augen sind verklebte Schlitze. Die Bettdecke fühlt sich hart an. Ich zwinge mich zu etwas mehr Schlaf.

Die Bettdecke lastet fein auf meinem Körper. Ich habe nicht bemerkt, dass etwas besser wurde. Nur Stille ist jetzt. Mein Atem geht normal. Mein Körper fühlt sich nicht leiser an, aber weniger angespannt. Das merke ich seit ich aufrecht im Bett setze. Keine Verschiebung mehr in irgendeine Richtung. Glasklar richten meine Gedanken darauf, dass vor ihnen liegt.

Meine Fingerspitzen drücken auf die Karte in meinem Portemonnaie. Ich will sie herausziehen. Es gestaltet sich schwierig, weil die Karte so glatt ist. Ich werde ungeduldiger. Ich presse meine Finger stärker auf die Karte, um sie herauszuschieben. Es eilt. Ich scheitere.

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