
In diesem Teil der Blogreihe gehe ich zurück zu den ersten Momenten meiner Erkrankung. Damals hatte ich keine Worte dafür – nur ein flirrendes Gefühl. Heute kann ich beschreiben, was ich damals durchlebt habe. Nicht als Chronik, sondern als Versuch, dem, was zwischen den Zeilen liegt, Sprache zu geben. Los geht’s:
Ich habe es nicht kommen sehen. Niemand hat es kommen sehen. Es kam aber auch nicht aus dem Nichts. Im Gegenteil: das Nichts kam.
Wie in der “Unendlichen Geschichte”, in dem das Nichts alles frisst. Wenn das Innere mit dem Äußeren verschwimmt, klammerst du dich an das Verhalten der anderen. Denen geht’s doch genauso, oder? Oder machen die das alles nur besser mit sich aus? Wie schwach muss man sein, um das nicht aushalten zu können?
Mit Anfang 20 hatte ich meine erste schwere Episode. Während alle losrannten, Pläne schmiedeten, sich in die Zukunft warfen – lag ich. Im Bett. Ohne Hoffnung. Für nichts.
„Die Freiheit existiert, und auch der Wille existiert; aber die Willensfreiheit existiert nicht, denn ein Wille, der sich auf seine Freiheit richtet, stößt ins Leere.“ – Thomas Mann.
Klingt hochtrabend. Aber ich wusste damals: Ich kann nichts wollen. Und wenn man nicht mal mehr was wollen kann, wird’s eng. Sehr eng. Da war keine Verzauberung. Da war Leere. Und: mit dem Hund rausgehen.
Dann kamen die Panikattacken. Die Angst. Ich dachte, ich hab was am Herzen. 24h-EKG. Blutdruck messen. Noch ein Arzt. Sie sagten: Alles in Ordnung. ‚Sie sind gesund.‘
Aber da war nichts gesund. Da war etwas falsch. Nur niemand sah es. Damals, so um 2002, hat kaum jemand an seelische Erkrankungen gedacht. Man sprach nicht darüber. Auch ich nicht.
Also machte ich weiter. Zivildienst. Schauspielschule. Erste Engagements. Ich funktionierte – mit voller Wucht. Bis zur völligen Erschöpfung.
Zwischendrin war ich – großartig. Ideenreich. Schnell. Überdreht. Hilfe, hatte ich Ideen! Umgesetzt? Vielleicht ein Prozent. Der Rest? Verpufft. Und danach: Absturz. Bedeutungslosigkeit. Dunkelheit. Gedanken, die ich keinem erzählen wollte.
Alkohol war da. Immer. Nicht exzessiv. Aber konstant. Wie ein flexibles Gummiband, das die Extreme zusammenhielt. Er hat alles gleichgemacht – Gedanken, Gefühle, Menschen. Ich glaube, ich wollte mich einfach nicht mehr selbst spüren.
Einmal – es war 2008 – stand ich in einem Laden. Plötzlich: als ob sich eine riesige Hand von hinten in meinen Schädel greift und das Gehirn nach hinten zieht. Schwindel. Panik. Ich schleppte mich nach Hause.
Ich rief den Notarzt. Dachte: Jetzt ist’s vorbei. Aber er sagte: alles okay. Abgesehen vom Blutdruck – der war abenteuerlich.
Damals war schon der Weg in die U-Bahn Horror. Busfahren? Undenkbar. Alles fühlte sich an wie Lebensgefahr.
Mal wurde es besser. Mal schlimmer. Aber so war kein Leben möglich. Kein echtes.
Ich ging zu einem anderen Arzt. Ruhiger Typ. Trug schon 2008 Mundschutz – damals noch seltsam. Er hörte zu. Und überwies mich an einen Neurologen.
Der verschrieb mir Citalopram – ein gut verträgliches Antidepressivum.
Ich erinnere mich noch genau: Ich saß da, starrte minutenlang auf diese weiße Pille in meiner Hand. Dann nahm ich sie. Und es wurde besser. Langsam. Aber spürbar.
Mehr über Citalopram findet Du hier.
In Teil 2: Das erste Mal auf alles scheißen